Mevlanas Ansichten über die Wichtigkeit unseres Kummers
(Şefik Can Efendi)
Es gibt viele Poeten und Philosophen, die von Kummer und Leid erzählen, die die Freude ableugnen und das Glück als eine Einbildung verstehen. Andere sehen den Kummer als etwas Natürliches. Mevlana betrachtet Kummer aus einer anderen Perspektive.
„Es gibt nichts Gesegneteres und Kräftigenderes als Kummer“. Er sieht den Kummer und die Sorgen nicht als ein Unglück puttygen , sondern versteht sie als ein geistiges Geschenk. Im Mesnevi sowie im Divan-i Kebir und in seinen anderen Werken beschreibt er gelegentlich, dass der Kummer ein Mittel zur Verwirklichung des Menschen ist, manchmal aber auch eine Prüfung darstellt. Eine Feinheit betreffend der Ansicht Mevlanas über den Kummer gilt es zu beachten: Mevlana sieht den Kummer nicht einfach als Schicksal, das heisst, dass man Leiden und Schwierigkeiten erdulden müsse, ohne sich zu beschweren, um damit später die süssen Früchte der bitteren Geduld ernten zu können. Die Essenz der Ansicht Mevlanas besteht vielmehr darin, den Kummer und die Sorgen zu lieben, statt diese einfach zu ertragen ohne sich darüber zu beklagen. Denn es ist eine religiöse Pflicht, Gottes Ratschluss zu akzeptieren und die Folgen unserer selbstsüchtigen Handlungen zu ertragen. Sagt Gott nicht im Koran: „Allah ist mit den Geduldigen“. Auch unser Prophet hat eine frohe Botschaft für die geduldigen Gläubigen. Er sagt, dass Allah den Kummer denjenigen Menschen beschert, die er liebt. Den grössten Anteil an Leid hatten die Propheten zu erdulden, gefolgt von den Heiligen und schliesslich den auserwählten Geschöpfen Gottes. Er sagte auch: „Geduld ist halber Glaube; Geduld und Erdulden von Leid und Unheil sind Gottesdienst“. Das heisst, der Gläubige, der Kummer erduldet, ist ein von Gott geliebtes Geschöpf. Müsste der Mensch, der diese frohe Botschaft gehört hat, statt sich über den Kummen zu beklagen, diesen in Stille erdulden und lächeln, obwohl er innerlich voller Kummer ist? Nein, Mevlana erklärt, dass der Kummer eigentlich kein Kummer, sondern ein in Kummer verhülltes Gottesgeschenk, ein Glück ist. Deshalb empfiehlt er, den Kummer zu lieben, statt ihn nur auszuhalten und zu erdulden.
Mevlana beschreibt im Mesnevi, B. V, Nr. 3678: „Der Kummer und die Gedanken, die jeden Tag ins Herz kommen, sind wie Gäste, die früh am Morgen an unsere Tür klopfen. Der Gast ist verwöhnt, verhält sich launisch gegenüber dem Gastgeber und beherrscht ihn. Doch die Ehre, ein Gastgeber zu sein, heisst, sein Benehmen zu erdulden und gastfreundlich zu sein.“
„In jedem Moment kommt ein Gedanke und ein Kummer in dein Herz und lässt sich nieder wie ein Ehrengast. Oh mein lieber Meister, betrachte den Gedanken, der ins Herz kommt als einen Menschen. Denn der Wert des Menschen sind seine Gedanken und seine Seele. Sei nicht traurig, wenn Gedanken des Kummers den Weg des Glücks abschneiden. Denn der Kummer, welcher ins Herz kommt, bereitet dir andere Glückseligkeiten. Der Kummer reinigt das Herzenshaus gründlich, damit neue Fröhlichkeit und Glück ins Haus kommen. Er reisst die gelben, trockenen Blätter am Ast des Herzens weg und hilft somit, dass neue grüne Blätter wachsen. Der Kummer reisst die Wurzeln des alten Glücks aus, damit neues Glück von weither kommt. Um der neuen Wurzel, die mit Ästen und Blättern verdeckt ist, Kraft zu schenken, vertilgt der Kummer die verrotteten alten Wurzeln und reisst sie weg.“
Was immer der Kummer vom Herzen wegreisst, er wird etwas Besseres und Schöneres dafür bringen. Besondere Güte zeigt er denjenigen, die wissen, dass Kummer ein Diener der reifen und gläubigen Menschen ist.
Wenn die Wolke und der Blitz nicht ihr mürrisches und saures Gesicht zeigten, würden die Weinberge durch die Hitze der Sonne verbrannt und vernichtet werden.
Glück, Unglück, Fröhlichkeit und Traurigkeit kommen von Zeit zu Zeit in das Menschenherz zu Gast. Danach gehen sie wieder. Sie sind wie die Sterne, sie gehen von Haus zu Haus, von einem Tierkreiszeichen zum anderen. Wenn der Stern des Glücks zu deinem Tierkreiszeichen kommt, bei deinem Tierkreis zu Gast weilt, dann nimm seinen süssen Zustand an wie der Glücksstern selbst, sei lebendig und gewandt. Benimm dich so, dass dein Schicksalsstern dem Mond der Wahrheit, dem Sultan der Herzen Lobpreis und Zufriedenheit überbringen kann, wenn er dort ankommt.