Einige Grundlagen über die Namen Gottes (2002)

Peter Hüseyin Cunz, Frühling 2002

(An mehreren Stellen wird auf das empfehlenswerte Buch „Gott hat die schönsten Namen“ von Hamid Molla-Djafari, Verlag Peter Lang verwiesen und Auszüge daraus wiedergeben.)

 

Woher stammen die Namen Gottes?

Die Namen Gottes sind keine Erfindung des Korans. Schon in der Tora haben die Gottesnamen oder „der Name des Herrn“ eine grosse Bedeutung; ein Beispiel:

Der Herr sprach zu Moses: „… du hast nun einmal Meine Gnade gefunden, und Ich kenne dich mit Namen.“ Dann sagte Moses: „Lass mich doch Deine Herrlichkeit sehen!“ Der Herr gab zur Antwort: „Ich will Meine ganze Schönheit vor Dir vorüberziehen lassen und den Namen des Herrn vor dir ausrufen.“ (Ex 33, 17-19).

Oder auch im Neuen Testament:

Jesus spricht zum Herrn: „Ich habe Deinen Namen den Menschen offenbart, die Du mir aus der Welt gegeben hast“ (Joh. 17,6);

und im Vaterunser heisst es: „Dein Name werde geheiligt.“

 

Die Gottesnamen sind für den Menschen da. Er soll damit das Wirken Gottes erkennen. Erkenntnis setzt aber den Erkennenden (Subjekt) und das Erkannte (Objekt) voraus: eine Zweiteilung (Dualität) also, die das Dritte erst ermöglicht, und ohne die unsere Schöpfung nicht existieren würde. Nur im Reflektieren ist Begreifen möglich, und einzig im Gegenüberstehen von Subjekt und Objekt können Begriffe wie die Namen Gottes formuliert werden.

Jeder Begriff – die Namen Gottes gehören dazu – riskiert, die im Koran wiederholt betonte Einzigartigkeit Gottes zu schmälern. Darum muss beim Studium eines Gottesnamens immer wieder vergegenwärtigt werden, dass Gott letztendlich niemals begriffen werden kann. Er ist vor jedem Ersten und nach jedem Letzten, das heisst Er war immer und wird immer sein. Er ist der Ursprung von allem, und Er bedarf nichts und besteht aus sich selbst. Er ist der Schöpfer aller Dinge und damit mit nichts Erschaffenem vergleichbar. Er ist der Vordergründige und der Verborgene. Wir können dies auch so ausdrücken: Die Schöpfung ist aus Gott entstanden, doch Gott ist noch grösser (Allah-hu Akbar).

„Die Gottesnamen“ heisst in Arabisch al-Asmâ al-Ilâhiyya;
„Die schönsten Namen“ heisst in Arabisch al-Asmâ al-Husnâ.

Im Anfang der Schöpfung „lehrte Gott Adam alle Namen“ und verlangte von den Engeln, sich vor Adam niederzuwerfen. Alle gehorchten ausser Satan (Iblis), der anschliessend Adam und sein Weib dazu verführte, vom verbotenen Baum zu essen, wodurch sie des Paradieses verlustig gingen. Sie kamen dorthin, wo „der eine des anderen Feind ist“, wo also das Wissen um die Einheit allen Lebens vom Vergessen überdeckt ist, oder, wo der Mensch vergessen hat, dass sein Eigenwille nur eine verzerrte Widerspiegelung von Gottes Wille ist. Doch der Herr war gnädig und gab Adam gewisse Worte (des Gebets) und sprach: „Gehet hinaus, ihr alle, von hier. Und wer, wenn zu euch Weisung von Mir kommt, dann Meiner Weisung folgt, auf die soll keine Furcht kommen, noch sollen sie trauern“ (siehe Sure II, 30-39).

Im Koran wird an vier Stellen auf die Gottesnamen Bezug genommen:

7,180: „Und Allahs sind die schönsten Namen. Drum ruft Ihn an mit ihnen und verlasset jene, welche Seine Namen eine verketzern. Wahrlich, belohnt sollen sie werden für ihr Tun!“

17,110: „Sprich: Rufet Ihn Allah an oder rufet Ihn an ar-Rahman (der Erbarmer). Wie ihr Ihn auch anrufen mögt, Sein sind die schönsten Namen. Und bete nicht zu laut und auch nicht zu leise, sondern halte den Weg dazwischen inne.“

20,8: „Allah! Es gibt keinen Gott ausser Ihm, Er hat die schönsten Namen.“

59,24: „Er ist Allah, der Schöpfer, der Erschaffer, der Bildner. Sein sind die schönsten Namen. Ihn preiset, was in den Himmeln und auf Erden ist. Er ist der Mächtige, der Weise.“

Ein Gottesnamen hat eine Wurzel, eine Zahl und einen Klang. Das Repetieren des Namens gemäss der ihm zugeordneten Zahl potenziert die Wirkung. Veranschaulichen lässt sich dies am Beispiel eines Quadrates, dessen „geometrische Wirkung“ mit der Zahl 6 potenziert werden kann. Aus 6 Quadraten entsteht ein Würfel, dessen „geometrische Wirkung“ der potenzierten Wirkung des Quadrates entspricht.

Es heisst, dass Gott es liebt, bei Seinen Namen angerufen zu werden. Gottesnamen sind Instrumente, um Gott näher zu treten. Beim Aussprechen der Namen öffnen sich in uns – d.h. in unseren „Herzen“, wo Gott Seinen Thron hat – die Tore, und die angerufenen Kräfte Gottes werden sichtbar. Diese wiederum bewirken eine Resonanz in der formatierten Welt (Gefühle, Körper, persönliche Umwelt). Es wird gesagt: „Derjenige, der Gott sucht, den hat Gott schon gesucht“ und „Wer immer einen Schritt zu Gott tut, dem kommt Gott mit zehn Schritten entgegen“. Die Gottesnamen sind die Substanz, aus der wir Gott eine Gestalt geben. Die Namen existieren nicht ohne uns Menschen.

 

Wie viele Namen Gottes gibt es?

Nach Molla-Djafari sind im Koran 122 eindeutig erkennbare Namen Gottes genannt. Da der Koran Gottes Botschaft ausdrückt, sind diese Namen jene, die Gott sich selbst gibt. Ein Hadith (von Abu Hurayrah überliefert) sagt aber aus: „Es gibt 99 Namen, die nur Allah gehören; wer diese lernt, versteht und rezitiert, wird ins Paradies eingehen“. Es gibt eine weitgehende Einigkeit darüber, welche der im Koran erwähnten Namen zu den 99 gehören.

In den traditionellen täglichen Gebeten kommen etwa zwanzig Gottesnamen vor, je nach Art der Alternativtexte, die im Gebet gewählt werden.

Streng genommen gibt es so viele Namen, wie es erkennbare Eigenschaften gibt. Diese Anzahl variiert je nach Grad des Bewusstseins und damit der Erkenntnisfähigkeit. In einigen Schriften liest man von 26’000 oder gar 144’000 Namen, oder es wird auch gesagt, dass 1000 Namen den Engeln offenbart wurden, 1000 den Propheten, 300 in den Psalmen des Davids, 300 in der Tora, 300 im neuen Testament der Bibel und 99 im Koran. Das ist letztlich alles ziemlich unwichtig.

In einigen Kreisen vor allem unter Sufis wird die Meinung vertreten, dass einer der Namen der „Grösste Namen“ (name mehin oder ism-e a’zam) sei, durch den jedes Ziel erreicht und jeder Wunsch erfüllt werden kann, und durch den geschlossene Türen sich öffnen und die Wundertaten der Propheten und Heiligen ermöglicht werden. Natürlich unterscheiden sich die Meinungen darüber, welches der Grosse Name ist. Viele vertreten die Meinung, dass der Ausdruck Allah es sei, und einige nennen den Grössten Namen. Nach Ibn Arabi ist der Grösste Name in der Ajat al-Kursi (Koranverse 2,255-256) enthalten, und nach Nadsch-middîn Kubrâ ist es der Ausdruck Iftah bî hanîn, was ungefähr „Öffne es mit Liebe“ bedeutet. Schön sind die überlieferten Aussagen von Bayasîd Bastâmi, wenn er nach dem Grössten Namen gefragt wurde; hier einige Beispiele (zitiert nach Molla-Djafari):

„Mach dein Herz leer von allem, was nicht Gott ist, dann nenne Ihn, wie du willst, und du kannst in einer Stunde von Osten nach Westen fliegen.“

„Lehre mich den Kleinsten Namen Gottes, dann werde ich Dir den Grössten Namen beibringen. Alle Namen Gottes sind gross.“

„Der Grösste Name Gottes hat keine Grenzen und keine Einschränkung; er ist die Leere des Herzens durch die Einheit mit Gott; und wenn du in diesem Zustand bist, ist jeder Name, den du nennst, der Grösste Name.“

Empfehlenswert ist auch die Geschichte im Mesnevi, Band 2, Verse 141 ff.

 

 

Wofür sind die Namen Gottes geschaffen?

Im Wunsch, Gott zu begreifen und sich ihm anzunähern, sucht der Mensch nach Begriffen, die wenigstens einen Schimmer von Gottes transzendenter Identität (Jenseitigkeit Gottes, jenseits des Bereichs der sinnlichen Erfahrung) zu beschreiben vermögen. Die in den Heiligen Büchern offerierten Namen Gottes erlauben es dem Suchenden, im Gebet und im Dhikr Gott anzurufen. Im Koran steht geschrieben: „Die, welche glauben, und deren Herzen in Frieden sind im Gedenken an Allah. Sollten auch nicht im Gedenken an Allah die Herzen in Frieden sein?“ (Sure 13:28). Auf der anderen Seite kann Gottes Immanenz (die Grenze möglicher Erfahrung und das menschliche Bewusstsein nicht übersteigend) in allen erschaffenen Dingen erspürt werden. Das Begreifen wollen einerseits und das Erspüren andererseits sind in unserer Suche wie der Kelch und der Wein: beide sind gleichfalls notwendig, um den Wein zu trinken, und es ist müssig, das ein als wesentlicher als das andere sehen zu wollen. Eine an sich unbeschreibliche Gotteserfahrung will anschliessend an die Erfahrung fürs eigene Begreifen beschrieben werden. Die in den Namen Gottes enthaltenen Eigenschaften offerieren eine Annäherung. „Ihn verstehen heisst, ihm nahekommen“ (Nûr al-Dîn Isfarâyinî 1242 – 1317).

In anderen Worten kann gesagt werden, dass die Namen Gottes die Manifestation (Sifat) Seiner Essenz (Dhat) sind. Daraus entwächst Seine Erkennbarkeit in dieser Welt (Wilayat). Viele der Namen Gottes deuten vordergründig auf Seine Transzendenz hin, jedoch lassen einige Namen (z.B. Al-Mubîn, der Klare, Deutliche, Offenkundige, Evidente; oder Az-Zâhir, der Sichtbare, Offenbare, Augenscheinliche) eindeutig auch auf Seine Immanenz schliessen. Letztendlich, wenn wir wegkommen von „hier bin ich und dort ist Gott“, verweisen alle Namen sowohl auf die transzendente als auch auf die immanente Seite Gottes hin – wenn wir es nur erkennen würden.

Beschreiben die bekannten Gottesnamen alle mögliche Eigenschaften dieser Welt? Nein, es gibt Eigenschaften, die in diesen Namen nicht enthalten sind, wie z.B. der Trennende, der Eifersüchtige, der Heuchler, der Versuchende… Dies sind Eigenschaften Satans. Selbstverständlich hat Gott auch die Macht über jene satanischen Eigenschaften, die uns von Ihm trennen, doch von solchen Eigenschaften sollen wir uns abwenden. In den im Koran erwähnten Heiligen Namen Gottes sind somit die Pflichten ausgedrückt, welche sich Gott (Allah) in Seiner Eigenschaft als „Gott unser Herr“ (ar-Rabb) gegenüber Seiner Schöpfung auferlegt. In anderen Worten: Seine Heiligen Namen und Eigenschaften sind das Gewand jenes Gottes, den wir in Seiner Schöpfung suchen und dem wir uns zuwenden sollen.

Es gibt durchaus einige der offenbarten Namen, die uns Unangenehmes bescheren, ohne dass diese Satan zuzuordnen wären, wie z.B. ad-Darr, al-Mudhill, al-Mumit, al-Muntaqim. Diese „negativen“ Eigenschaften unterstehen gewissermassen Seiner allgegenwärtigen über alles stehenden Barmherzigkeit Ar-Rachman. Aus Barmherzigkeit (Rahman) macht uns Gott z.B. krank, damit wir daraus etwas lernen. Gleichfalls aus Seiner Gnade oder „gezielten“ Barmherzigkeit (Rahîm) macht Er uns wieder gesund.

 

 

Übergeordnete Eigenschaften und Aufteilung der Gottesnamen

Der Klang HUUU… wird gerne als Urklang und somit als das Grundelement oder „Substanz“ der Gottesnamen gesehen. Es ist wie der Lehm, aus dem verschiedene Formen modelliert werden können. HU ist die Zahl 11 zugeordnet – eine Schlüsselzahl in der islamischen Zahlenmystik.

Die grossen Gelehrten haben unterschiedliche Kategorien gebildet, was einmal mehr zum Ausdruck bringt, dass das Begreifen Gottes nie ganz sein kann. Es sind vor allem ‚Abd al-Karîm al-Jîlî (1366 – 1414) mit seinem Buch al-Insân al-Kâmil und Muhyî ad-Dîn Ibn ‚Arabî (1165 – 1240) mit seiner Abhandlung Insa al-dawâ’ir, die in der Literatur referenziert werden. Als Obergruppen werden oft, aber bei weitem nicht ausschliesslich bezeichnet:

Attribute der Essenz (sifât al-dhâtî)

Attribute des Wesens (sifât al-nafsiyya)

Prinzipielle oder verständliche (intelligible, entitative) Attribute (sifât al-ma’nawiyya)

Attribute der Aktivität (sifât al-fi’liyya)

Attribute der Majestät (sifât al-jalâliyya)

Attribute der Perfektion (sifât al-kamâliyya)

Attribute der Schönheit (sifât al-jamâliyya)

Eine eindeutige Kategorisierung ist noch niemandem gelungen. Es ist darum – auch insbesondere für Gläubige – ratsam, sich nicht in solchen Einteilungen zu versteifen. Der berühmte Philosoph Averroes (Ibn Ruscht, gest. 1198) empfiehlt daher in seinem Werk Tahâfut at-tahâfut:

Die Menschen sollen nur jene Eigenschaften Gottes wissen, die durch das offenbarte Gesetz des Islam geklärt wurden, d.h. die obligatorischen Eigenschaften, jedoch ohne ausführliche und detaillierte Analyse der ‚Bedeutung von Eigenschaften an sich‘.

Da die Beschäftigung mit Gottesnamen meist mit einer religiösen Tätigkeit zu tun hat, werden in vielen Übersetzungen Interpretationen angegeben, ohne diese eindeutig von der sprachlich verbindlichen Übersetzung zu unterscheiden. Sekundärerscheinungen zu einem Namen Gottes, die dem Autor aus seiner religiösen Überzeugung wichtig sind, werden in zahlreichen Veröffentlichungen zu Lasten der sprachlichen Bedeutung hervorgehoben. Eine seriöse Übersetzung von Gottesnamen sollte mit der rein sprachlichen Bedeutung beginnen und erst anschliessend Interpretationen zulassen. Zur Veranschaulichung hierzu die Meinung Molla-Djafaris (Kap. 3.13.6):

Die Ursachen für solche Verwechslungen sind in erster Linie der mangelnde sprachtheoretische und sprachphilosophische Hintergrund des Verfassers und ein fehlendes Bewusstsein für die Probleme, die sich bei einer genauen Übersetzung ergeben. Solche Personen, die in der Regel sehr gläubig und engagiert sind und es wirklich gut meinen, neigen oft dazu, aus lauter Verherrlichung und Lobpreisung Gottes sich „semantisch zu überschlagen“ und als Übersetzung eines Gottesnamens eine Reihe herrlicher, edler und wunderbarer Eigenschaften anzubieten, welche mit dem zu übersetzenden Namen nicht das geringste zu tun haben. Dies kommt in der falschen Behauptung eines Verfassers (Mogtaderi, Mohm’mad Tagi) in seiner persischen Übersetzung der Gottesnamen sehr gut zum Ausdruck. Der Übersetzer meint: „… jeder Gottesname umfasst alle Eigenschaften Gottes, denn Seine Existenz ist vollkommen und absolut und alle Dinge sind Offenbarungen und Verkörperungen Seiner Macht…“. Diese ungenaue und unbedachte Aussage ist eindeutig falsch. Hier wird die Person und das Wesen Gottes mit verschiedenen Aspekten von Ihm, die durch Seine verschiedenen Namen zum Ausdruck kommen, verwechselt (wie wenn wir die Farbe oder das Bremsverhalten oder die Ladekapazität oder die Fahreigenschaften eines Autos mit dem Auto selbst verwechseln würden). Ausserdem: Wenn alle Gottesnamen das gleiche ausdrückten, warum gäbe es dann so viele von ihnen? Man würde mit einem auskommen.

 

Wie wollen wir mit den Gottesnamen umgehen?

Die Gottesnamen können im Dhikr repetiert werden. In der Repetition festigt sich die Wirkung der Namensinhalte. Eine besondere Potenz erhalten sie in Verbindung mit der ihnen zugeordneten Zahl. Es gibt Menschen, die sie über einer Wasserschüssel repetieren, um anschliessend mit dem Wasser das Gesicht zu waschen. Oft werden die Namen auch auf Papier geschrieben und als Glück bringende Amulette verwendet.

Nun, dies ist alles gut und recht, wir müssen uns aber ständig im klaren sein, welche Motivation hinter unserem Handeln steckt. Erwartungen sind ein heimtückisches Gift auf dem Weg zu Gott!

Das Verwenden der Gottesnamen zwecks Erreichen verbesserten Wohlbefindens ist meistens eng mit Erwartungen verknüpft. Selbst wenn Gottesnamen für das Wohl von jemand anderem verwendet werden, besteht die Gefahr des heimlichen Wunsches nach Anerkennung. Es ist nicht von ungefähr, dass die Tradition der Mevlevi wenig mit den Namen Gottes arbeitet und sich auf den allumfassenden Gottesnamen Allah beschränkt. Im Namen Allah sind ohnehin alle anderen Namen enthalten. Andererseits sind wir ohne Vorstellungen, Absichten und Erwartungen weder zur Planung noch zu Entscheidungen noch zu Urteilen fähig. Die Grösse des Menschen liegt ja gerade in seinen Fähigkeiten, die Reflexion zu ermöglichen, womit er sich von allen anderen Lebewesen abhebt. Auf dem spirituellen Weg gilt es, solche Fähigkeiten voll zu nutzen, um sie dann im richtigen Moment wieder loszulassen. Warum wieder loslassen? Weil ein Haften an den Vorstellungen, Absichten und Erwartungen den Ehrgeiz, die Gier, die Eifersucht, sowie Arroganz und Enttäuschungen verursacht, und dies sind offensichtliche Hindernisse auf dem Weg zu Gott.

Das Aussprechen eines Gottesnamens ist wie ein Gebet. Gebete werden nach den Waschungen an einem sauberen und geeigneten Ort verrichtet. Genau so behutsam und respektvoll soll mit den Namen Gottes umgegangen werden. In vielen muslimischen Kreisen ist es verpönt, ein Papier, das einen Namen Gottes enthält, in den Abfalleimer zu werfen. Es soll verbrannt werden, wenn es nicht mehr gebraucht wird. Auch ist die Toilette kein Ort, wo Gottesnamen an die Wand gehängt werden.

Wenn wir mit den Gottesnamen arbeiten, dann kommen wir nicht gleich „zur Sache“. Zuerst wird Gott gepriesen, und erst anschliessend die speziellen Belange hervorgebracht. Unsere Grundhaltung sollte diejenige Mevlanas sein: „Oh Herr, verstärke meine Sehnsucht nach Dir!“. Darum beginnt traditionell jede derartige Handlung mit Lob, Respekt und Wiedererkennung. Es ist falsch, ein Gebet mit einer Bitte zu beginnen, auch wenn wir für das Wohl anderer beten. Vor der Bitte muss zuerst alle Angst, Kummer und Elend weg. Ein Gebet wirkt kaum, wenn es in elender Haltung gesprochen wird.

Jeder Dhikr, der in der Vergangenheit während Jahrhunderten zelebriert wurde, hat die Wirkung dieser Heiligen Namen in der relativen Welt weiter geprägt. Es ist etwa so wie ein Teig, der besser wird, umso länger er geknetet wird. Darauf ist es auch zurückzuführen, dass diese Heiligen Namen im richtigen Kontext eine starke Wirkung zeigen. Zwar wird oft gesagt, dass die arabisch richtig ausgesprochenen Heiligen Namen so klingen, dass sie allein durch den Klang eine Wirkung auf die Konstitution des Menschen haben, so wie die Mantras östlicher Techniken. So wie die zugeordnete Zahl eine potenzierende Wirkung hat, so hat auch der reine Klang durchaus seine Wirkung, aber er ist nicht wesentlich. Auch perfekt ausgesprochene Heilige Namen wären nur Worthülsen, wenn sie nicht Träger einer Botschaft wären. Sie geben Zeugnis ab von den Millionen Herzen und Zungen, die in Andacht und Ehrfurcht diese Namen ausgesprochen haben, im Dank für die Eigenschaften, in denen sich Gott uns zeigt. Es ist dieses Zeugnis, das, von den Heiligen Namen getragen, im Herzen des ehrlich Übenden eine starke Wirkung hat. Und im Üben ist der Gläubige selbst wieder Zeuge für die Herrlichkeit Gottes. Einer der Heiligen Namen ist ash-Shahid, der Zeuge.