Gedanken zu Dhikr – eine Praxis im Islam (September 2003)

Peter Hüseyin Cunz, September 2003

Ich war ein verborgener Schatz und sehnte Mich danach, erkannt zu werden. Also schuf Ich die Welt, auf dass Ich erkannt würde.
(Hadith qutsi, Ausserkoranisches Gotteswort)

Gott sehnte sich danach, erkannt zu werden um so Sich Selbst zu erkennen, darum hat Er aus Sich Selbst heraus diese „Welt“ erschaffen. Um dies zu ermöglichen, benötigte Er einen würdigen Gegenspieler der die Funktion des Metalls auf der Rückseite der durchsichtigen Glasscheibe auf sich nimmt, damit ein Spiegel entsteht, in dem Gott sich erkennen kann. Als Gegenspieler hat Er den gewählt, der Ihm am nächsten stand: den Erzengel Azazil (oder Luzifer, der Lichtbringer, der Träger des Lichts). Dieser – in seiner unendlichen Gottestreue – hatte sich geweigert, sich vor dem ersten Menschen Adam niederzuwerfen, und so „qualifizierte“ er sich für die schwierigste und schmerzlichste Funktion der Schöpfung: Satan (Iblis), der Versucher, der Einflüsterer, der Verführer, der Provokateur, der vom Weg abbringende.

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Islamische Identität im schweizerischen Alltag (Dezember 2002)

Referat von Peter Hüseyin Cunz, Paulus-Akademie Zürich:
Islam in der Schweiz
Tagung vom 30.11./1.12.2002

BISMILLAH

Verehrte Damen und Herren,

Es war vor über 25 Jahren, dass ich – beeinflusst von den Umständen, die mir mein Schicksal bescherte – als geborener Schweizer Protestant mich zum Islam bekannte. Vieles war dadurch neu für mich – und einiges war geradezu faszinierend. Während den nachfolgenden Jahren durfte ich im Rahmen des Islams immer wieder Neues entdecken, und meine innere Rebellion gegen menschgemachte kirchliche Systeme konnte sich legen. Und schrittweise durfte ich auch in den Garten der islamischen Mystik treten – ein Gebiet, das wir in unserer Sprache mit „Sufismus“ bezeichnen. Heute bin ich Lehrbeauftragter – man nennt dies „Scheich“ – im Orden der Mevlevi, die hierzulande oft „Wirbelnde Derwische“ genannt werden. Mein Geld verdiene ich als Sektionschef im Bundesamt für Energie.

In meinem Suchen nach essenziellen Erkenntnissen innerhalb des Islams war ich nicht durch eine islamische Erziehung vorprogrammiert. Es klebten keine aus der Kindheit stammenden Bilder und Wertvorstellungen islamischer Natur an mir, und somit hatte ich keine Angst, die Überlieferungen kritisch zu betrachten, und ich hatte nicht das Gefühl „zu sündigen“, wenn ich mit nicht einleuchtenden Hadithen und überlieferten Interpretationen haderte. In dieser Freiheit konnte ich die ergreifende Entdeckung machen, dass der Islam von mir in keiner Situation ein Ausklammern meiner Vernunft und meines philosophischen Denken abverlangt. Und so fühlte ich mich mit allen meinen existenziellen Fragen allmählich zu Hause.

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Spirituelle Ziele im Alter (Juni 2002)

Was sind die spirituellen Ziele im Alter aus Sicht des Islam und wie können sie erreicht werden?

Vortrag von Peter Hüseyin Cunz

3. Münsterlinger Symposium zur Alternspsychotherapie
Münsterlingen, 1. Juni 2002

BISMILLAH

Sehr geehrter Herr Bäurle, verehrte Damen und Herren,

In meinem Referat über die spirituelle Bedeutung des Alters im Islam werde ich als erstes den Begriff „Islam“ abgrenzen, um dann über Glaubensinhalte zu den Fragen der Praxis im Alter zu kommen. Bitte beachten Sie, dass ich mich in vielem kurz fasse. Über jedes Einzelthema, das ich anschneiden werde, wurden schon Bände geschrieben. Vieles, was meine Vorredner vorbrachten, ist auch im Islam gültig.

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Religion, Glaube und Unglaube gemäss Rumi (Juni 2000)

Sefik Can Efendi, Juni 2000
Englische Übersetzung durch Cuneyt Eroglu und Kabir Helminski
Übertragen ins Deutsch durch Peter Finckh

Über die ganze Welt sind Moscheen, Kirchen, Synagogen und Tempel gegen den Himmel sichbar. Es ist eine Tatsache, dass seit den frühesten Zeiten Menschen von verschiedenen Hautfarben und Nationen in unzähligen Häuser gebetet haben, meistens in der Form von Anbetung an Idole, die sie selbst gemacht haben. Es ist eine nicht verleugbare Tatsache, dass Menschen ein Bedürfnis für eine Form der Anbetung haben. Ein Mensch, der nicht gläubig ist, wird sicherlich eine Leere in sich verspüren. Nachdem Tevfik Fikret seinen religiösen Glauben verloren hatte, spürte er das klare Bedürfnis zu glauben und beklagte sich:

«Alles ist leer, die Erde ist leer, der Himmel ist leer

Herz und Gewissen sind leer,

Ich möchte dabei bleiben,

aber vor mir liegt Nichts.»

Und der verstorbene Mehmed Akif sagte: «Ein glaubenloses, rostiges Herz ist eine Last auf meiner Brust.»

Wie verstand Rumi «religiöse Gefühle»?

Weil Rumi die Menschen als Geschöpfe sah, die das göttliche Vertrauen in sich tragen, liebte er alle menschlichen Wesen, unabhängig von ihrem Glauben oder Überzeugung und er respektierte daher alle Religionen. Aus diesem Grunde vergiessen hinter dem Sarg dieses grossen Heiligen nicht nur Muslime Tränen, sondern auch Christen und Juden.

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Der Ruhepol in einer sich drehenden Welt (für ein Referat in Ankara im Dez 2000)

Von Peter Hüseyin Cunz, August 2000

Basis zu einem Referat im Dezember 2000 in Ankara)

 

At the still point of the turning world. (Im Ruhepol der sich drehenden Welt)
Neither flesh nor fleshless; (Weder Fleisch noch fleischlos)
Neither from nor towards; (Weder von noch für)
At the still point, there the dance is, (Im Ruhepol, dort ist der Tanz)
But neither arrest nor movement. (Aber weder im Stillstand noch in Bewegung)
(T.S. Eliot)

Alles was erschaffen ist, befindet sich in Bewegung. Wo Bewegung ist, existiert ein Referenzpunkt – ein Pol, um den sich alles dreht. Der Pol kennt weder Anziehung noch Abstossung, weder Wunsch noch Abneigung, weder Erkennenden noch Erkannten – er ist überall und doch nirgends zu sehen, er ist reine Erkenntnis, die in sich selbst ruht. Wer in der Nähe des Pols ist, kümmert sich nicht mehr um die Bewegungen der Schöpfung. Doch Allah ist noch grösser als Seine Schöpfung.

Gott war es nicht genug, in sich selbst zu ruhen, und so blickte Er für einen kurzen Augenblick auf Sich Selbst – und hatte damit bereits alle Evolution in Gang gesetzt und Erkenntnis ermöglicht. Gott wollte die Bewegung, Er wollte die ständige Veränderung aller Dinge und Erneuerung der Gegensätze, denn Seine Geschöpfe sollen sich im Dilemma der Gegensätzlichkeiten nach Ihm sehnen und Ihn preisen. Hz. Mevlana (radhiyallâhu ‚anhu) spricht immer wieder vom Kontrast zwischen Bewegung und reinem Sein, und das Ritual des Semâ (Mukabele) mit dem Drehen der Derwische um ihre eigene Achse zelebriert dies ganz eindrücklich. Alles sehnt sich zurück an den Ort, wo wir alle herkommen. Dort in der absoluten Ruhe, dem universellen Frieden, fühlen wir uns Gott am nächsten. In der Bewegung liegt der Sinn der Schöpfung verborgen.

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Die Wichtigkeit unseres Kummers

Mevlanas Ansichten über die Wichtigkeit unseres Kummers
(Şefik Can Efendi)

Es gibt viele Poeten und Philosophen, die von Kummer und Leid erzählen, die die Freude ableugnen und das Glück als eine Einbildung verstehen. Andere sehen den Kummer als etwas Natürliches. Mevlana betrachtet Kummer aus einer anderen Perspektive.

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Musik und Sema

Mevlanas Ansichten über Musik und Sema
(von Şefik Can Efendi)

Hören wir Mevlanas Ansichten über Musik und Sema von seinem eigenen gesegneten Mund:
„Weise Menschen haben gesagt: Diese wunderschönen Töne, diese Melodie haben wir vom Himmel genommen. Die Musikinstrumente, die das Volk spielt und die lieblichen Lieder, die es singt, entspringen der Drehung der Himmelssphären. Wir waren alle Teile Adams. Wir haben diese Melodien im Paradies gehört. Doch dieses Schlüpfen in den Körperkäfig aus Wasser und Erde und dieses Verwickeltsein in den Lehm, hat unsere Seele verwirrt und verzweifelt gemacht. Aber auch wenn es nur wenig ist, erinnern wir uns doch an diese Melodien. Und genau deswegen ist das Sema die Nahrung für die Liebenden. Weil im Sema die Vorstellung der Herzenszufriedenheit, der Gottesnähe und des Findens des Geliebten liegt. Während wir diesen wunderschönen Tönen zuhören, werden unsere Vorstellungen im Herzen verstärkt, die Vorstellungen nehmen sogar durch diese Melodien und durch das Strömen der Luft durchs Instrument Form an.“

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Das Ungenügend-Sein des Verstandes

Mevlanas Ansichten über das Ungenügend-Sein des Verstandes
(von Şefik Can Efendi)

Der ungenügende Verstand

Den Menschenverstand, welcher fähig ist zu denken, wahrzunehmen und zu verstehen, untersucht Mevlana von zwei Seiten:
Gemäss Mevlana ist der Verstand für den Menschen ein Vermögen, welches sehr wertvoll, gleichzeitig aber auch unnütz ist. Diese Sicht untersucht er in zwei Stufen. In der ersten Stufe unterscheidet der Verstand den Menschen von den Tieren; er erlaubt dem Menschen, Mensch zu sein, er ist sehr wertvoll und ein göttliches Geschenk. Der Mensch kann sein niederes Selbst mit dem Verstand besiegen, sich von den niederen Wünschen reinigen und ein höheres Sein erreichen. Der Verstand ist ein Gotteslicht im Herzen, durch ihn können wir die Wahrheit und die Falschheit erkennen.

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Die Rettung der Menschheit

Mevlanas Ansichten über die Rettung der Menschheit
(von Şefik Can Efendi)

Wir befinden uns alle in Sehnsucht und auf der Suche nach einem fehlerlosen Menschen. Es ist schwierig heutzutage, einen fehlerlosen Menschen zu finden. Wenn wir bei Menschen, die wir ehren, lieben, respektieren, und von denen wir glauben, dass sie fehlerlos sind, Fehler feststellen, die mit ihrer menschlichen Natur zusammenhängen, brechen wir innerlich zusammen und sagen: „Es gibt keine fehlerlosen Menschen.“ So akzeptieren wir die Menschen mit ihren guten und schlechten Seiten und sind gezwungen, sie so zu lieben wie sie sind. Trotz dieser Ansicht sollten wir unsere Hoffnung nicht aufgeben. Auf dieser Welt, in der die Menschen die inneren Werte verlieren und dem Materiellen den höheren Stellenwert einräumen, gibt es dennoch fehlerlose, vollkommene Menschen – Insan-i Kamil – auch wenn es nur einer unter Tausenden ist. Diese wenigen sind die Sonnen der geistigen und menschlichen Welt.

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Religion, Glaube und Unglaube

Mevlanas Ansichten über Religion, Glaube und Unglaube
(von Şefik Can Efendi)

Über die ganze Welt sind Moscheen, Kirchen, Synagogen und Tempel gegen den Himmel hin sichtbar. Es ist eine Tatsache, dass schon in frühester Zeit Menschen verschiedener Hautfarbe und Nationen in unzähligen Häusern gebetet haben, meistens in Form der Anbetung von Idolen, die sie selbst errichtet hatten. Es ist eine nicht zu leugnende Tatsache, dass Menschen ein Bedürfnis für irgend eine Form der Anbetung haben. Ein Mensch, der nicht gläubig ist, wird sicherlich eine Leere in sich verspüren. Nachdem Tevfik Fikret seinen religiösen Glauben verloren hatte, spürte er das klare Bedürfnis zu glauben und beklagte sich:

„Alles ist leer, die Erde ist leer, der Himmel ist leer
Herz und Gewissen sind leer,
Ich möchte dabei bleiben,
aber vor mir liegt Nichts.“

Und der verstorbene Mehmed Akif sagte: „Ein glaubensloses, rostiges Herz ist eine Last auf meiner Brust.“

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