Schems-î Tebrîz-î und die Liebe in den Äußerungen von Hz. Mevlana (H. Nur Artıran, September 2012)

Referat von H. Nur Artıran am 14. September 2012 in Deutschland

Sehr geehrte Gäste, ich grüsse Sie alle in tiefem Respekt und bedanke mich von ganzem Herzen bei all jenen, die geistig und materiell dieser Organisation gedient haben. Ich wünsche mir sehr, dass dieses Zusammenkommen ein Anlass bildet, um bleibende Freundschaften, Frieden und Wohlbefinden zu begünstigen.
Heute werden wir über die göttliche Liebe von Hz. Mevlânâ Celâleddin-i Rûmî, welcher in der ganzen Welt als Sultan der Liebe erinnert wird, und seinen nächsten Herzensfreund, Hz. Schems-î Tebrîz-î, sprechen.

Wie Sie wissen, sind sowohl Hz. Mevlânâ Celâleddin-i Rûmî als auch Hz. Schems-î Tebrîz-î Gottesfreunde von der Art, wie sie auf dieser Welt selten anzutreffen sind. Zwei Gottesverbliebte.

Um ihre erhabene Freundschaft adäquat und richtig verstehen und erfassen zu können, ist es nötig, eine Ahnung von der Bedeutung der göttlichen Liebe zu haben, sich Gottes wegen zu lieben. Denn durch das Verwechseln von geistlicher und materieller Liebe kommen von manchen Leuten, unwissend in Bezug auf die göttliche Liebe, immer wieder äusserst falsche Ansichten und Gedanken zum Vorschein.

So wurde auch die göttliche Freundschaft zwischen Hz. Mevlânâ Celâleddin-i Rûmî und Hz. Schems-î Tebrîz-î, welche ganz auf dem Geistigen basierte, von Zeit zu Zeit durch ähnliche falsche Gedanken ungenügend und nicht richtig verstanden.

Diejenigen, welche die Liebe von Hz. Jakob zu Hz. Joseph nicht wirklich verstanden haben, werden natürlich auch die Liebe nicht verstehen, die Hz. Mevlânâ Celâleddin-i Rûmî zu Hz. Schems-î Tebrîz-î empfand.

Wir werden heute versuchen, im Lichte der Ansichten und Gedanken von Hz. Mevlânâ selbst, über die göttliche Liebe und über die Wahrheit seiner Freundschaft zu Hz. Schems-î Tebrîz-î zu sprechen. Ich hoffe sehr, dass die Essenz, das Wirkliche dieser göttlichen Liebe und dieser allbarmherzigen Zuneigung, die von Hz. Mevlânâ für Hz. Schems-î Tebrîz-î empfunden wurde, in schönster Weise verstanden werden kann.

Auf die Liebe von Joseph und Züleyha, die im edlen Koran als „die schönste aller Geschichten“ bezeichnet wird, folgte eine weitere Liebe, die die Menschheit in ihren Bann gerissen hat; und dies ist die göttliche Liebe, die Schems-î Tebrîz-î und Hz. Mevlana füreinander empfunden haben.

Dies ist eine Liebe, so frisch wie eine noch nicht aufgegangene Blüte, so lebendig und klar wie das vom Himmel auf die Erde gefallene Geheimnis des Hay (lebendiger Gott) und uns so nahe wie unser Atem – näher noch als wir uns selber.

Über diese göttliche Liebe sagt Hz. Mevlana in einer seiner Ghaselen:

„Dies ist ein solch’ lichtvoller Liebesbaum, dass er keinen Stamm, keinen Körper hat. Seine Äste und Zweige reichen in die vergangene Ewigkeit und seine Wurzeln reichen in die zukünftige Ewigkeit. Dieser Baum der Liebe stützt sich weder auf den Himmelsthron, noch auf die Erde.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 1, 192)
„Dies ist solch’ eine Liebe, wie sie nie zuvor die Welt betrat und niemals mehr in die Welt kommen wird.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 2, 579)

Seit Jahrhunderten haben Wissende und Unwissende wie auch Reife, im Besitze des irfan (Weisheit), ihrem Naturell und Wissen entsprechend Vieles über diese göttliche Liebe gesagt und geschrieben. Seit Jahrhunderten wurde, ob nun wahr oder falsch, viel interpretiert. All das sehr natürlich findend, möchte ich gewisse Themen, auf denen mit Nachdruck bis auf heute beharrt wird, anhand von Hz. Mevlanas eigenen Doppelversen sowie aus der ihm eigenen Sichtweise noch einmal vor Ihnen zur Sprache bringen. Wie man weiß, ist gemäß mancher Interpreten Schems-î Tebrîz-î der Geliebte und Hz. Mevlana der Liebende. Andere betrachten Schems-î Tebrîz-î als Meister und Hz. Mevlana als Adept. Gemäß Hz. Mevlana hingegen gibt es in dieser göttlichen Liebe, die weder Stamm noch Körper hat und deren Äste und Zweige in der vergangenen Ewigkeit- und deren Wurzeln in der zukünftigen Ewigkeit enden, entgegen unseren oberflächlichen Vorstellungen weder einen Liebenden noch einen Geliebten, weder einen Meister noch einen Adepten. Wenn man auch manches Äußere, was über diese Liebe gesagt worden ist, akzeptieren kann, wissen doch nur jene um das Innere, das Wesentliche dieser Liebe, die in ihrem Inneren, dem Wesen von Schems-î Tebrîz-î und Hz. Mevlana gemäß „genichtet“ wurden (zu nichts geworden sind) – die im Feuer jener Liebe verbrannt, zu Asche geworden sind.

Wie zweifelsohne jeder vernünftig Denkende zustimmen wird, kann es niemals ausreichend sein, ein Dozent oder Professor zu sein oder eine Hochschule oder Medrese absolviert zu haben, um über die erhabene, göttliche Bedeutung einer solch heiligen Liebe – die sich weder auf die Erde noch auf den Himmel stützt – zufriedenstellend sprechen zu können. Hz. Mevlana hat in einer seiner Ghaselen der Gedichtsammlung „Divan-î Kebîr“ folgendes ausgeführt:

„Seit auf der Erde die Medrese der Liebe eröffnet wurde, gibt es keine Angelegenheit, die so schwierig wäre, wie die Ermittlung des Unterschiedes zwischen dem Liebenden und dem Geliebten. Es gibt zwar andere Methoden als den Vergleich, den die Weisen anwenden, doch bleibt dieser Weg zu dieser Erkenntnis sowohl dem Kenner des fιkιh (islamisches Recht) als auch den Medizinern und Sternenkundigen versperrt.

Zu verschiedenen Zeiten haben sich in dieser oder jener Form viele intelligente und über ein tiefes Wissen verfügende Personen mit dem Unterschied zwischen dem Liebenden und dem Geliebten ausgiebig beschäftigt. Sie haben verschiedenste Gedanken vorgebracht. Sie haben zahlreiche Streitgespräche angezettelt und sich widersprochen, doch letztlich hat niemand von ihnen die Wahrheit erreicht oder erkannt. Sie haben davon gesprochen, dass es zwischen dem Liebenden und dem Geliebten viele Unterschiede gibt, doch der Weg zu dieser Erkenntnis blieb allen versperrt. Niemand konnte bezüglich des Themas ‚Liebender und Geliebter‘ ein wahres Wissen erlangen.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 1, 345)

Der Sultan der Liebenden, Hz. Mevlana, sagte also vor Jahrhunderten, dass hinsichtlich des Themas „Liebender und Geliebter“ niemand zu wahrem Wissen gelangt sei. In wie fern wurde dieses Wissen aber heute erlangt? In wie weit hat man dieses Wissen heute erkannt? Das wissen nur Eingeweihte.

Weswegen konnte niemand den Unterschied zwischen dem Liebenden und dem Geliebten erkennen?

Warum konnte niemand diese Wahrheit erlangen?

Auch dies möchte ich anhand von bestimmten Doppelversen Hz. Mevlanas darlegen:

„Beide Welten sind der Liebe fremd. In der Liebe gibt es zweiundsiebzig Arten der Verrücktheit. Die Konfession des Liebenden ist eine andere als die der zweiundsiebzig Religionen.“ (Can Şefik Mesnevî Band 3, 4719)

„Ebu Hanife, einer der größten Imame, hat die Liebe nicht erwähnt, auch Imam Schafi hat die Liebe nicht erklärt. Kein einziger Imam der verschiedenen Konfessionen hat diesbezüglich irgendeine Überlieferung übermittelt. In der Religionswissenschaft gibt es ein Ende für die Diskussionen hinsichtlich dessen, ob etwas erlaubt sei oder nicht. Das Wissen der Liebenden hingegen kennt kein Ende. Die Religion der Liebe ist eine von allen Religionen sich unterscheidende. Das göttliche Gesetz und die Konfession der Liebenden ist Gott.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 1, 199)

„Leider kennt das Volk diesbezüglich nur Gerede. Die Liebe ist nicht in der höheren Stellung, im Wissen, in Heften, in den Seiten der Bücher zu finden.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 1, 192)

„Die Liebe kann nicht durch Lektüre erlernt werden.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 2, 751)

Hz. Mevlana zeigt uns den Weg, indem er in einem weiteren seiner Doppelverse sagt: „Wenn du die Liebe und die Zustände der Liebe erlernen willst, frage die Liebe selbst, erlerne die Liebe von der Liebe.“ Wenn wir also die Liebe von der Liebe lernen sollen, stellen sich uns folgende Fragen:

Was ist denn die Liebe?

Wer ist der Liebende und wer der Geliebte?

Hz. Mevlana gibt die Antwort auf diese Frage in seinem Divân-ı Kebîr mit unterschiedlichsten Doppelversen wie folgt:

„Wenn sie dich fragen, was die Liebe sei, sag: ‚Die Liebe ist, der Wunsch, der Wille und die Lust, zu tun und zu lassen was man will, aufzugeben‘.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 1, 210)

„Liebe ist, in die Himmelssphäre zu fliegen. Liebe ist, jeden Moment Hunderte von Ego-Schleiern zu zerreißen. Liebe ist, sich von vergänglichen Wünschen zu befreien. Liebe ist, es aufzugeben, hinter den Wünschen und Lüsten der Triebseele, des Egos herzulaufen. Liebe ist, die Welt für nichtig zu halten, sie nicht zu beachten. Liebe ist, darüber nachzudenken, woher man gekommen ist und wohin man geht; zu versuchen, sich selbst zu verstehen und sich selbst zu erkennen.“

„Die Liebe ist wie ein Prophet zwischen Gott und dem Geschöpf.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 1, 118)

„Die Liebe ist nichts anderes als Vernichtung.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 1, 286)

„Die Liebe ist nichts anderes als spirituelles Glück, eine göttliche Gabe, Hilfe, Herzensfrische.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 1, 199)

„Die Liebe ist das Haus Gottes.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 3, 1213)

„Die Liebe ist ein göttlicher Spiegel.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 4, 1196)

„Die Liebe ist wie auch der Geist ein Fremdling, der aus der Ferne, Jenseitigkeit gekommen ist.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 3, 1123)

„Die Liebe hat nichts zu tun mit dieser vergänglichen Welt.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 3, 1193)

„Die Liebe ist das Geheimnis Gottes, welches ur-ewig und anfangslos ist, und vor dem es kein Davor gibt.“

„Die Liebe ist ein Meer in der Leere, ohne Rand und Grund. Nur ein einziger Tropfen aus jenem unendlichen Meer ist Hoffnung. Alles andere ist Furcht.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 4, 770)

Wenn wir im Lichte der Verse, die wir oben dargelegt haben, die Liebe (aşk) in knappen Sätzen beschreiben sollten, so symbolisiert der arabische Buchstabe ayın das Im-Dienste-Gottes-Stehen und das Dienen, der Buchstabe şın (wie şükür) die Dankbarkeit und der Buchstabe kaf (wie kanaat) die Genügsamkeit.“ (Can Şefik Rubailer No. 1178)

Es ist also offensichtlich, dass die göttliche Liebe nichts zu tun hat mit der vergänglichen Welt und den weltlichen Gedanken und Empfindungen. Die Liebe ist nichts anderes als eine Kostbarkeit in der Machthand Gottes und wird nur den Kennern, den Geeigneten gegeben.

Eines der sehr wichtigen Themen ist: Wir alle glauben, dass Hz. Mevlana die große Liebe erfahren hat, nachdem er Schems-î Tebrîz-î kennengelernt hat.

Natürlich sollte man rein äußerlich, vordergründig diesen Glauben für richtig halten. Doch worauf basiert der Anfang, die Bedeutung, das Wesen, das Innere dieser göttlichen Liebe?

Auch dazu möchte ich einige Verse von Hz. Mevlana mit Ihnen teilen:

„Weder wurde ich geschaffen aus Wasser, noch aus Erde. Ich habe mit der Welt nichts zu tun. (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 2, 814)

„Noch bevor Halladsch-i Mansur ‚Ich bin die absolute Wahrheit‘ gesagt hatte, und infolge dessen Kampf und Unruhe in dieser Welt ausbrachen, sagten wir im Bagdad der geistigen Welt: ‚Ich bin die absolute Wahrheit‘.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 1, 418)

„Wenn Halladsch jetzt leben würde, würde er mich aufgrund meiner gewaltigen Worte und Geheimnisse aufs Schafott bringen.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 2, 694)

„Wir sind Leute, die seit einer Zeit verliebt sind, die uranfänglich ist.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 3, 118)

„Mein Gott, seit dem Du in der Welt der Ewigkeit ‚Bin ich nicht euer Herr?‘ gesagt hast, bin ich Dein, bin ich Dein Liebender.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 4, 741)

„Als Du, mein Gott, mich in der Ewigkeit erschaffen hast, war meine Liebe zu Dir bereits im Zustande der Reife. Damals gab es weder die Erde, noch den Himmel. Weder gab es die Sonne, noch irgendeine erschaffene Person.

Als du mich für Deine eigene Liebe erwählt hattest und mich mit Deiner Liebe den Zustand der Reife erlangen ließest, existierte nichts. Noch bevor die Welten erschaffen wurden, als es weder Himmel noch Erde gab, war ich Dein Vertrauter, Dein naher Freund, Dein größter Liebender.“ (Divân-ı Kebir Külliyât-ı Şems-î Tebrîz-î  3238)

Diese Verse, die wir vorgetragen haben, damit das Wenige das Viele bezeuge, zeigen, dass das Innere der göttlichen Liebe ganz anders ist als wir uns dies vorstellen: Weder gibt es darin – wie wir nur das Äußere beachtend wähnen – einen Liebenden, noch einen Geliebten, weder einen Meister, noch einen Schüler. Um es mit Hz. Mevlana zu sagen, hatte Gott, der Herr, ihn für Seine Liebe erwählt und ihn mit dieser Liebe den Zustand der Vollkommenheit erlangen lassen, noch bevor die Welten erschaffen wurden, bevor Himmel und Erde existierten. Wenn nun nichts so ist wie es scheint, wie soll man dann die Liebe zu Schems-î Tebrîz-î verstehen, von der man seit Jahrhunderten spricht und über die solange gesprochen werden wird, wie die Erde sich dreht?

„Wohin ich auch mein Haupt hinlege, Er ist der Einzige, vor dem ich mich niederwerfe, Er ist der Angebetete in den sechs Richtungen und außerhalb der sechs Richtungen. Der Garten, die Rose, die Nachtigall, die Schöne, die Geliebte, all dies ist nur ein Vorwand. Er allein ist es, der damit gemeint ist.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 4, 222)

„Oh mein Gott, dessen Eigenschaften offen und sichtbar sind, dessen Wesen so verborgen ist wie die Seele in der Seele, ich schwöre bei Deinem ewig beständigen göttlichen Wesen:

Dass all mein Wünschen, all mein Verlangen, all das, was ich will, allein Du bist

Ich liebe nur Dich, ich wünsche mir nur Dich

Ich habe an niemanden außer Deiner gedacht in dieser Welt

Ich habe nur Deiner gedacht, nur Dich wollte ich, niemanden sonst.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 1, 78)

„Sowieso ist Schems aus Tebriz auch nur ein Vorwand.“ (Can Şefik Mevlana, Hayatı Şahsiyeti Fikirleri)

„Was man auch sagt, es ist ein Irregehen und es ist sinnlos, es sei denn, man gedenkt Deiner.“ (Can Şefik Mevlana, Hayatı Şahsiyeti Fikirleri)

„Alle haben erkannt, dass ich verliebt bin. Leider hat niemand erkannt, in wen ich verliebt bin. Niemand hat dies gewusst.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 3, 977)

„Das, was die Ohren hören, sind nur Worte, die von meinen Lippen kommen. Niemand hört das Wehgeschrei, das meiner Seele entstammt.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 3, 1007)

„Ich bin ein verliebter Falter, der in das Licht des alast (jener Moment, in welchem Gott den Menschen in der uranfänglichen Welt fragte ‚Bin ich nicht dein Herr?‘) geworfen wurde, dessen Seele mit dem Licht des alast verbrannt wurde, dessen Flügel mit jenem Licht verbrannt wurden. Und nun diene ich einer Kerze jenes Kaisers des Alast-Lichts in dieser Welt.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 2, 762)

Zuletzt sagt Hz. Mevlana denen, in ihrem Unverständnis den Formen Anhaftenden, die diese Liebe zwischen Schems-î Tebrîz-î und Hz. Mevlana bewerten, welche eine Manifestation darstellt jener göttlichen Liebe in dieser vergänglichen Welt und ohne Körper ist, und deren Äste und Zweige in der vergangenen Ewigkeit und deren Wurzeln in der zukünftigen Ewigkeit enden, in einem Vierzeiler: „Das Wesen, das wir ‚Geliebter‘ nennen, ist nur ein Vorwand. Eigentlich ist Gott der einzig wirkliche Geliebte.“

Indem Hz. Mevlana sagt, dass, was er Geliebter nennt, nur ein Vorwand- und damit ausschließlich Gott gemeint sei, hat er in einer sehr deutlichen Weise auch dieses Thema aufgeklärt.

Wenn nun Gott gemeint ist, ist Schems-î Tebrîz-î also nur ein Vorwand? Warum hat man solch einen Vorwand nötig? Was ist die Weisheit, die dahintersteckt? Auch die Antwort darauf möchte ich in ein paar Sätzen mit Hz. Mevlanas eigenen Versen darlegen:

„Es gibt kein einziges Härchen an meinem Körper, das nicht mit deinem Schmerz weint und seufzt. Oh du, meiner Seele Wohlergehen, mein Geliebter, was ist der Grund für diese meine Wehklage?

Willst du jeden, alle Welt, um mich herum versammeln?

Denn wenn ich nicht so sehr weine, wenn ich nicht wehklage (also Schems, Schems, Schems rufe), wird dieses Volk sich nicht um mich herum versammeln.

Was bedeutet es, dass sich das Volk aufgrund meiner Wehklage um mich herum versammelt?

Warum willst du das Volk um mich herum versammeln?

Dass heißt, dass die Seelen, die sich mit derselben Absicht hinter Schattenwesen versammeln, eine Reise von sich zu sich machen werden. Es bedeutet, dass sie das ihnen Anvertraute, Göttliche gemeinsam finden.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 1, 431)

Wie man erkennen kann, sind diese Verse so klar und deutlich und für jeden verständlich, dass sie keiner Erklärung und Deutung bedürfen. In einem anderen seiner Doppelverse sagt Hz. Mevlana: „Das Gedicht ist die Bekleidung meiner Worte. Wer aber ist im Kleid?“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 1, 876). So fragt Hz. Mevlana klar und deutlich. Leider sind alle mit dem Kleid beschäftigt, niemand hat eine Ahnung von dem Schönen, der darin ist. Um Hz. Mevlana und Schems-î Tebrîz-î zu verstehen, muss man zuerst folgenden Hadith (Ausspruch des Propheten) verstehen: „Der Gläubige ist der Spiegel des Gläubigen“. Wenn man diesen Hadith richtig versteht, wird man den Platz Schems-î Tebrîz-î in Hz. Mevlanas Leben verstehen.

Im Divân-ı Kebîr sagt Hz. Mevlana: „Joseph ist ein Vorwand, gemeint ist Gott. Keines Propheten Seele verliebt sich in einen Menschen. Jakob war vom Stamm Abrahams, er neigte sich nicht dem Falschen zu.“ (Can Şefik Divân-ı Kebîr Band 2, 503).

Auch für Hz. Mevlana war Schems-î Tebrîz-î ein Vorwand. Es ist offensichtlich, dass Hz. Mevlana, der Erbe des Propheten, der erhabene Sultan der Liebenden, sich auch nicht dem Falschen zuwendet. Dem vergänglichen Wesen, der Form und dem Aussehen Schems-î Tebrîz-îs anhaften zu bleiben würde bedeuten, einen Götzen anzubeten; und niemand kann behaupten, Hz. Mevlana hätte Götzen angebetet.