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Musik und Sema

Mevlanas Ansichten über Musik und Sema
(von Şefik Can Efendi)

Hören wir Mevlanas Ansichten über Musik und Sema von seinem eigenen gesegneten Mund:
„Weise Menschen haben gesagt: Diese wunderschönen Töne, diese Melodie haben wir vom Himmel genommen. Die Musikinstrumente, die das Volk spielt und die lieblichen Lieder, die es singt, entspringen der Drehung der Himmelssphären. Wir waren alle Teile Adams. Wir haben diese Melodien im Paradies gehört. Doch dieses Schlüpfen in den Körperkäfig aus Wasser und Erde und dieses Verwickeltsein in den Lehm, hat unsere Seele verwirrt und verzweifelt gemacht. Aber auch wenn es nur wenig ist, erinnern wir uns doch an diese Melodien. Und genau deswegen ist das Sema die Nahrung für die Liebenden. Weil im Sema die Vorstellung der Herzenszufriedenheit, der Gottesnähe und des Findens des Geliebten liegt. Während wir diesen wunderschönen Tönen zuhören, werden unsere Vorstellungen im Herzen verstärkt, die Vorstellungen nehmen sogar durch diese Melodien und durch das Strömen der Luft durchs Instrument Form an.“

Ja, wie Mevlana sagte, hört man in der Musik Stimmen vom Jenseits. Denn wenn wir die Musik hören, erwacht etwas in unseren Herzen. Wunderschöne Stimmen und Melodien tragen uns von uns weg. Wir vergessen uns. Es ist, wie wenn wir in eine geheimnisvolle und mysteriöse Welt eintreten würden, von der wir nichts wissen und die wir nicht verstehen können. Es ist so wie wenn wir aus diesem Körperkäfig befreit- und mit den Flügeln gegen Himmel flattern würden, um uns zu reinigen. Wir werden ein ganz anderes Wesen. Jemand, der vom ewigen Geliebten getrennt wurde und Sehnsucht empfindet, der den Hunger des Fremdseins auf der Erde spürt, weint in uns. Was ist das Sema, das Mevlana als Nahrung für die Liebenden beschreibt?

Der Begriff „Sema“ bedeutet, der Musik zuzuhören, während dem Zuhören aufgeregt in Bewegung zu kommen, aber auch in Ekstase zu versinken, aufzuwachen und zu drehen. Gemäss den Sufis hat das Sema auf die Menschenseele verschiedene Wirkungen. Es stärkt die Liebe gegenüber Allah und lässt den Menschen verschiedene geistige Zustände erfahren. Diese geistigen Zustände vertreiben das Böse und öffnen schliesslich die Augen des Herzens. In gewisser Weise ist das Sema der Ausdruck der Liebe und der Aufregung des Gottliebenden  in drehender Form. In diesem Sinne befreit das Sema den Derwisch von sich selbst, von seiner irdischen Existenz und bringt ihn näher zu Gott. Es ist, als würde das Küken im Ei des Egos versuchen, durch die Eierschale auszuschlüpfen. Der Seelenvogel, gefangen im Körperkäfig, flattert- und steigt auf in den Himmel. Das göttlich Anvertraute sitzt im Lehm fest und versucht, sich vom Lehm zu lösen. Das Sema ist ein Mittel, um über die Musik Gott im Herzen zu finden, in Aufregung zu geraten und sich wie ein Nachtschmetterling zu drehen. Diese Drehung ist nicht nur eine Drehung des Körpers. Es ist eine Drehung mit dem Herzen, mit der Seele, mit der Liebe, mit dem Glauben, mit der ganzen physischen und der geistigen Existenz. Bei dieser Drehung befreit der Gottliebende sich von der eingebildeten Existenz und löst sich auf in Allah. Die Auflösung eines Teils im Ganzen ist wie das Atom, das sich drehend zitternd der Sonne nähert. Ein echter Semazen, der sein Herz von schmutzigen Wünschen gereinigt hat, die Waschung vollzogen- und sich in das Leichentuch gewickelt hat, ist nicht mehr sich selbst, wenn er im Takt der Melodie dreht. Diejenigen, die ausserhalb des Sema sind, sehen die Semazens drehen, doch sie wissen nicht, dass die Semazens nicht dort sind.

Damit das Sema Rechtens ist und angenommen wird, sollte man gemäss Necmeddin-i Kübra auf drei Grundregeln achten:

Zum Ort: Das Sema kann nicht überall stattfinden. Es ist nicht angebracht, ein Sema zu an einer viel befahrenen Strasse-, an einem schmutzigen Ort oder an einem Ort, wo das Herz anderweitig als mit Allah beschäftigt ist, zu veranstalten.

Zur Zeit: Das Sema kann nicht jederzeit  abgehalten werden. Es ist nicht angebracht ein Sema auszuüben, wenn das Essen vorbereitet ist, wenn die Zeit für das Beten naht oder wenn man unter dem Druck eines feindlichen Benehmens steht.

Zur Begleitung: Es ist angesagt, dass die Anwesenden beim Sema mit edlem Geist, mit sauberem Herzen und sauberen Gedanken – wie die Nachkommen des Propheten – sein sollten. Ein Sema sollte nicht in Anwesenheit von Menschen gemacht werden, die gegen das Sema sind oder die die Veranstaltung bedrücken, die eingebildet oder unaufrichtig sind oder nur vorspielen, Sufis zu sein. Es sollte nicht vor Menschen gemacht werden, die das Sema nicht zu schätzen wissen.

Wenn man diese Grundlagen nicht beachtet, kann das Sema nicht den erwarteten geistigen Genuss bereiten.