Die Sufi-Lehre vom Ich (Mai 2015)

(Peter Hüseyin Cunz, Dortmund, 8. Mai 2015 zum Thema „Wer bin ich?“ – Evangelisches Erwachsenenbildungswerk Westfalen und Lippe e.V.)

 

Wenn ich von einer Sufi-Lehre spreche, so spreche ich gleichzeitig vom Islam. Denn Sufismus ist eine Art, den Islam zu verstehen und zu leben. Sufismus ohne Islam gibt es nicht. Jedoch dürfen wir und – angesichts des Weltgeschehens – sollen wir uns fragen, was Islam ist.

Das arabische Wort islam bedeutet die Hingabe an den einen Gott. Es wird an einigen Stellen des heiligen Korans erwähnt im Sinne, dass die einzige richtige Religion bei Gott die Hingabe an Ihn ist (z.B. im Vers 3:19). Der heilige Koran spricht auch an einigen Stellen von Muslimen, also von Menschen, die allein den letztendlichen Gott preisen und nur Ihm dienen. „Der Islam“ als Name einer Weltreligion gab es zur Zeit der Offenbarung noch nicht. Es ist also falsch und fatal, wenn in vielen Koranübersetzungen der Vers 3:19 übersetzt wird mit „Siehe, die Religion bei Allah ist der Islam“. Dadurch stellt sich jede Person das vor, was sie vom Islam zu sehen oder verstehen glaubt.

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Impuls zur Eigenverantwortung (April 2014)

Impuls zur Eigenverantwortung

(Von Peter Hüseyin Cunz für die Hauszeitung des Lassalle-Hauses)

 

Gott erschuf Adam aus Lehm und hauchte ihm den Geist ein. Dann versammelte Er alle Seine Engel und erklärte ihnen, dass der Mensch das höchste erschaffene Wesen sei und im Zentrum Seiner Schöpfung stehe. Und Er forderte von Seinen Engeln, dies zu bezeugen und sich vor Adam niederzuwerfen. Alle taten dies, ausser Azazil. Gott erzürnte und warf den widerspenstigen Engel aus dem Paradies, worauf dieser begann, Adam und Eva zu verführen, bis sie beide von der Frucht des verbotenen Baumes assen und damit ebenfalls aus der paradiesischen Einheit fielen.

Im Gegensatz zu den Engeln sind wir Menschen mit einer selbstbestimmenden fühlenden Seele ausgestattet und den wunderbaren Fähigkeit der Vernunft, des Reflektierens, des Infrage Stellens und des Formulierens. Mit diesen Eigenschaften machte uns Gott zum höchsten Wesen Seiner Schöpfung, und damit übertreffen wir die Engel, die lediglich ausführende Kräfte Gottes sind. Ein Engel studiert nicht und wägt nicht ab; sein Wunsch ist einzig das, was Gott von ihm will. Wir Menschen hingegen sind mit einem eigenen Willen ausgestattet.

Aber damit lastet eine grosse Verantwortung auf uns, und oftmals sind wir machtlos. In Anbetracht der Grässlichkeiten, die wir aus den Medien erfahren, und unserer Hilflosigkeit fragen wir uns: „Was ist das für ein Gott, der solches zulässt?“ Doch wäre es nicht besser zu fragen: „Warum lassen wir Menschen zu, dass solches geschieht?“

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Zur Vermarktung des Sema in Ost und West (Bahar Can, Dezember 2008)

Hör zu! Höre auf den Gesang der Rohrflöte …

(von Bahar CAN)

 

Jedes Jahr im Dezember, zur Zeit des Sheb-i Arus, gedenken wir Hz. Mevlanas. Zu diesem Anlass werden Konferenzen, Symposien und Sema-Rituale organisiert. Wie Sie sich erinnern, haben wir letztes Jahr nicht nur Sheb-i Arus, sondern mit grosser Freunde auch das von der Unesco portierte Mevlana-Jahr international gefeiert. Denn am 30. September 2007 jährte sich zum 800sten Mal Hz. Mevlanas Geburtstag. Eigentlich hätte ein so grosser Heiliger wie Hz. Mevlana es nicht nötig, dass wir seiner gedenken. In unserer Hilflosigkeit aber sind wir diejenigen, die es nötig haben, ihn in Würde zu verstehen zu versuchen, ihn zu erspüren und so weit nur irgend möglich uns selber zu Gefährten dieses grossen Heiligen zu machen. Jedoch, wenn auch unsere Absichten noch so gut und rein sein mögen, so sind die jeweiligen Auffassungen und Empfindungen doch ganz verschieden, so ist das Verständnis mitunter doch sehr unterschiedlich. Um Hz. Mevlanas zu gedenken, wurden im letzten Jahr die verschiedensten Events veranstaltet; sogar ein Feuerwerk haben wir für unseren Hz. Pir während der Feierzeremonie in Konya steigen lassen! Wäre er ein Pop-Ikone, hätten wir wahrscheinlich dasselbe getan…

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Schems-î Tebrîz-î und die Liebe in den Äußerungen von Hz. Mevlana (H. Nur Artıran, September 2012)

Referat von H. Nur Artıran am 14. September 2012 in Deutschland

Sehr geehrte Gäste, ich grüsse Sie alle in tiefem Respekt und bedanke mich von ganzem Herzen bei all jenen, die geistig und materiell dieser Organisation gedient haben. Ich wünsche mir sehr, dass dieses Zusammenkommen ein Anlass bildet, um bleibende Freundschaften, Frieden und Wohlbefinden zu begünstigen.
Heute werden wir über die göttliche Liebe von Hz. Mevlânâ Celâleddin-i Rûmî, welcher in der ganzen Welt als Sultan der Liebe erinnert wird, und seinen nächsten Herzensfreund, Hz. Schems-î Tebrîz-î, sprechen.

Wie Sie wissen, sind sowohl Hz. Mevlânâ Celâleddin-i Rûmî als auch Hz. Schems-î Tebrîz-î Gottesfreunde von der Art, wie sie auf dieser Welt selten anzutreffen sind. Zwei Gottesverbliebte.

Um ihre erhabene Freundschaft adäquat und richtig verstehen und erfassen zu können, ist es nötig, eine Ahnung von der Bedeutung der göttlichen Liebe zu haben, sich Gottes wegen zu lieben. Denn durch das Verwechseln von geistlicher und materieller Liebe kommen von manchen Leuten, unwissend in Bezug auf die göttliche Liebe, immer wieder äusserst falsche Ansichten und Gedanken zum Vorschein.

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Mevlana und das Fasten (Hayat Nur Artıran, August 2005)

Halte dich am Seil des Erbarmens fest, das während des Ramadan herabgesandt wird, und befreie dich aus dem Gefängnis, aus dem Grab deines Körpers!

Was ist das Fasten? Fasten ist eine göttliche Einladung des Himmels zum verborgenen und unsichtbaren Essen. Nimm dieses Fasten wie einen Korb in die Hand und bettle auf dem Weg Gottes, damit Gott dir deinen Lebensunterhalt schenkt. Das Wasser des Lebens macht die Unglücklichen, deren Herzen brennen, glücklich. Dieses Fasten ist wie ein Krug, gib darauf Acht, ihn nicht zu zerbrechen!

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Licht über Licht

Licht über Licht (Januar 2015 in München)

(Referat von Peter Hüseyin Cunz) 

 

Licht wird in allen Religionen als Symbol für Gott und Seine Kräfte verwendet, sowie für die bildliche Darstellung von Gegensätzen zwischen Wünschbarem (Licht) und Verwerflichem (Dunkelheit). Auch in der Dichtung der Sufis wird das Licht in allen Variationen verwendet, vom unerschaffenen Licht Gottes bis hin zur Philosophie der Erleuchtung Umar Suhrawardis, dem offiziellen Sufi-Meister von Bagdad im 13. Jahrhundert. Das Thema ist umfangreich, und folglich konzentriere ich mich auf einzelne Bilder über das Licht bei den Sufis, die mir besonders interessant und lehrreich scheinen.

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Mystik im Aufwind? (Mai 2013)

Aufsatz für Via Cordis Forum zum Thema des internationalen Forums

Von Peter Hüseyin Cunz, Mai 2013

 

Mystik im Aufwind – wirklich? Ist das eine überprüfbare Feststellung? Oder ein Gefühl verknüpft mit einer Hoffnung? Ende Mai wird ein Symposium von Via Cordis diesem Thema gewidmet sein.

 

Die Physik lehrt uns, dass das Ergebnis einer Messung vom Messenden beeinflusst wird. So stelle ich die Frage: Wer kann objektiv vom Aufwind in der Mystik sprechen? Dass in der Umgebung von Via Cordis ein Gefühl des Aufwindes zu spüren ist, weiss ich aus eigener Erfahrung. Wenn ich aber in die Welt hinausschaue, bin ich mir nicht so sicher.

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Kontemplation und Aktion, Akademie Loccum (November 2009)

Rechtes Handeln im Sufismus

Loccum 20.-22. November 2009

(Die männliche Form einiger Wörter und Ausdrücke schliesst die Frauen nicht aus.)

 

Vorbemerkung: Unterschiedliche Deutungen der islamischen Offenbarung, die weit auseinander liegen

Aus Sicht des Islam bedeutet „Rechtes Benehmen“ vorerst, die Gepflogenheiten des Propheten Mohammed (Gottes Friede und Segen seien mit ihm) nachzuahmen, soweit dies für einen gewöhnlichen Menschen möglich ist. Denn im Koran steht deutlich, dass der Prophet das schönste Vorbild ist. Die Schwierigkeiten beginnen dann, wenn es um die Praxis geht. Als Beispiel kann die Frage der Frauenrechte dienen: Hz. Mohammed war zweifelsohne derjenige Prophet, der für die Rechte der Frauen am meisten gekämpft und erreicht hat. Nun meint die Mehrheit der Muslime, dass das im 7. Jahrhundert Erreichte als fixes Vorbild für alle Zeiten zu gelten hat, während von einer Minderheit die Meinung vertreten wird, dass wir Muslime des Propheten Haltung mit dem Wunsch nach Gleichberechtigung zum Vorbild nehmen sollten. Der Streitpunkt ist also, ob des Propheten Absicht oder der damals verfügte Vollzug zum Vorbild genommen werden soll.

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Konferenz Akademie Loccum zu Säkularität, Pluralismus, Moderne als Herausforderung (November 2007)

Säkularität, Pluralismus, Moderne:
Ihre Herausforderung und ihre Bearbeitung für die Mystik

Statement von Peter Hüseyin Cunz, Internatonale Mevlana-Stiftung, Schweiz
Loccum, 18. November 2007

 

 

Rechthaberei wird im Sufismus und allgemein in der Mystik als eines der grössten Hindernisse gesehen. Aus islamischer Sicht kann Rechthaberei als eine Meinungsmacherei nebenan von Gott gedeutet werden – Gott etwas nebenan stellen wird als grösste Sünde betrachtet. Hier an einer solchen Tagung wollen wir zwar Meinungen bilden und austauschen, doch wir tun dies im gemeinsamen Geiste des Monotheismus, also im gemeinsamen Begehren des Auffindens von Gottes Willen. Die Schwierigkeit dabei ist, dass wir über Dinge sprechen, die über dem menschlichen Begriffsvermögen stehen. Die vernunftgesteuerte Betrachtung ist und bleibt beschränkt und ist im Religiösen auf Erfahrungswerte angewiesen. Dem gegenüber steht als Unsicherheit die Unberechenbarkeit von subjektiven Erfahrungen. In diesem Bewusstsein versuche ich nachfolgend, das gewünschte Statement zu  formulieren. Ich beginne mit Selbstkritik an mir als überzeugter Muslim.

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Das letzte Interview von Sefik Can Efendi (2005)


SERTARIK, MESNEVİHAN

Şefik Can
1909-2005

 

Şefik CAN (22. Juni 1909 – 23. Januar 2005) wurde im Jahr 1909 im Dorf Tebricik in der Provinz Erzurum geboren. Die Primarschule besuchte er in Yıldızeli.
Bereits im Kindesalter lernte er von seinem Vater, einem Mufti, Arabisch und Persisch. Im Jahr 1929 schloss er die Kuleli Militäroberstufe ab und 1931 ebenso die Militärakademie.
Später absolvierte er mit der Bewilligung des Ministeriums für die Nationale Verteidigung an der Universität in Istanbul seine Prüfung und erhielt das Lehrerdiplom. Im Jahr 1935 beendete er sein Praktikum unter der Aufsicht von Tahir-ül Mevlevi an der Kuleli-Militäroberschule und begann als Lehrer zu unterrichten.
Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1965 unterrichtete er an verschiedenen Militärschulen, an zivilen privaten Hoch- und Oberschulen Türkisch und Literaturwissenschaft.
Şefik CAN lernte aufgrund seines grossen Interesses an der Weltliteratur auf eigene Initiative Englisch, Französisch und Russisch, um die betreffende  Fremdliteratur in der Originalsprache lesen zu können. Er lobte die Zeit seiner Pensionierung, da sie ihm endlich die Möglichkeit gab, sich ganz der Arbeit zu widmen, insbesondere sich mit den Werken Hz. Mevlanas zu beschäftigen und von ihnen zu erzählen.
Şefik CAN, der eine Zeit lang krank in seinem Haus in Istanbul lag, während er von seiner Frau Sabahat Hanim, von der Familie des Çelebi wie auch von seiner Assistentin Nur Artiran Hanim und seinen nahen Freunden intensiv betreut wurde, vereinigte sich in der Nacht vom 23. auf den 24. Januar 2005 um 22:50 Uhr mit Gott. Der selige CAN führte sein Leben auf dem Weg Gottes als schlichtes Geschöpf, das die Bescheidenheit nie aus der Hand gegeben hat; die Liebe zu Mevlana und zu Konya in der Brust tragend hat er dem Befehl „Irciî…“ („Kehre zu Deinem Ursprung zurück“) des grossen Schöpfers gehorcht und ist aufgebrochen auf den Weg der Vereinigung.

Şefik CAN selig wurde am 26. Januar von seinen Freunden von Istanbul nach Konya gebracht. Nach dem Mittagsgebet in der Selimiye-Moschee wurde er im Grab, das er zuvor selber hatte herrichten lassen, beerdigt.

      Dr. Nuri Şimşekler

SEINE WERKE
Veröffentlichungen durch das Kulturministerium, von Ötüken und anderen Herausgebern:

o Mevlânâ und Plato (1964)
o Klassisch Griechische Mythologie (1970)
o Hz. Mevlânâ’s Vierzeiler (1990)
o Hz. Mevlânâ’s Leben, Persönlichkeit und Ansichten (1995)
o Hz. Mevlânâ’s Mesnevi Übersetzung (3 Bücher, 1999)
o Hz. Mevlânâ’s Dîvân-ı Kebîr Auswahl (4 Bücher-2000)
o Cevahir-i Mesneviyye (2 Bücher, 2001)
o Destegül (2001)
o Mesnevi Geschichten (2003)
o Band 5-6 der Mesnevi-Übersetzung von Tahir-ül Mevlevi vollendet, als 4 Bücher veröffentlicht (2001)

Einige Werke des Şefik CAN selig liegen noch zum Druck bereit. Er hielt Vorträge an den von der Selçuk-Universität und der Stadtgemeinde Konya organisierten Symposien und Konferenzen. In verschiedenen Zeitschriften erschienen von ihm zahlreiche Artikel.

Das letzte Interview

Nuriye AKMAN
Zeitung „Zaman“, 25. Januar 2005

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