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Der Tod von Mevlanas Vater Sultanü’l-ulema

(von Şefik Can Efendi)

Sultanü’l-ulema war 85 Jahre alt. Seit seiner Ankunft in Konya waren zwei Jahre vergangen. Im Winter 1231 wurde er plötzlich krank. Am dritten Tag seiner Krankheit schloss er für immer seine Augen. Er wurde unter Anteilnahme einer grossen Menschenmenge am nächsten Tag unter der Leitung von Sultan Alaeddin Keykubad begraben.

Mevlana, der seinen Vater verloren hatte, fühlte sich im Innern leer – er hatte nicht nur einen Vater verloren, sondern auch einen Scheich, einen Lehrer und Herzensfreund, der die Erkenntnis und Tugend symbolisierte und ein Insan-i Kamil, ein vollkommener Mensch, war! Die Schüler seines Vaters sahen nun ihn als Nachfolger, als ihren Scheich und Pir. Er selbst jedoch konnte sich nicht an der Stelle seines Vaters sehen; und er spürte, dass ihm die geistige Führung fehlte.

Ein Jahr nach Sultanü’l-ulema’s Tod kam einer seiner Schüler, Seyyid Burhaneddin Muhakkik, nach Konya, um seinen Lehrer zu besuchen. Er erfuhr, dass sein Scheich vor einem Jahr gestorben war und nun dessen Sohn seine Aufgabe übernommen hatte.

Bis zu dieser Zeit hatte Mevlana sich mit den „äusseren Wissenschaften“ befasst. Doch durch Seyyid Burhaneddin wurde er jetzt in die visionären Werke seines Vaters eingeweiht und erfuhr die Geheimnisse des mystischen Pfades. So wurde Seyyid Burhaneddin Mevlanas Lehrer und ordnete für ihn eine vierzigtägige Klausur an. Ebenso auf Empfehlung dieses Lehrers begab sich Mevlana später für einige Jahre nach Syrien, um sein geistiges Wissen zu vertiefen.

Um 1240 verliess Seyyid Burhaneddin Konya und ging nach Kayseri. Nach einem Jahr starb er dort. Nach dem Tod seines Lehrers begann Mevlana, in Konya dessen Aufgabe weiterzuführen und begleitete seine Schüler auf dem mystischen Weg.

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Begegnung Mevlanas mit Schems-i Tebrizi

(von Şefik Can Efendi)

„Schamseddin von Täbriz“ bedeutet „Die Sonne des Glaubens“. Mevlana traf Schems-i Tebrizi, der sein Leben für immer verändern sollte, Ende Oktober 1244. Es existieren verschiedene Legenden darüber, wie sich die beiden Gottesdiener begegnet sein sollten. Sefik Can schreibt in seinem Buch, wie es von Sipehsalar berichtet wird (nach der Übersetzung von Midhat Bahari, S. 168):

Schems-i Tebrizi kam in der Nacht in Konya an. Er begab sich zum Gasthaus Princiler. Da stand vor dem Eingang eine schön dekorierte Polsterbank, auf der wichtige Personen Platz zu nehmen pflegten. Auch Schems hatte sich an diesem Morgen auf dieses Sofa gesetzt. Durch das Licht der Heiligen wurde Mevlana klar, dass Schems gekommen war. Er trat aus seinem segensreichen Haus und schreitete in Richtung des Gasthauses. Auf seinem Weg rückten Leute näher zu ihm und wollten ihm die Hand küssen. Mevlana erwiderte ihnen seinen Dank, indem er ihre Köpfe streichelte und ihnen Herzensfreude schenkte… In diesem Moment wurde er vom Blick von Schems-i Tebrizi getroffen! – Mevlana wusste sofort, dass die heilige Person, über die man ihn in seinem Traum unterrichtet hatte, diese Person sein musste. Er sagte nichts und setzte sich Schems gegenüber auf das Sofa. Für eine Weile schwiegen sie, dann begannen sie zu reden.

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Mevlanas Zustand nach dem Verschwinden von Schems

(von Şefik Can Efendi)

Sultan Weled beschreibt im Ibtidaname den Zustand seines Vaters: „Nach der Trennung war der Scheich wie ein Verrückter. Er hatte früher Gesetze der Scharia gepredigt – nun ist er ein in Liebe versunkener Dichter geworden. Er war ein Frommer – nun ist er ein betrunkener Kneipenwirt. Doch er ist nicht betrunken vom Wein der Trauben – er ist derjenige, der dem Licht Gottes angehört, der nichts anderes trinkt als den Wein des Göttlichen Lichts.“ Tag und Nacht sang und rezitierte Mevlana Gedicht um Gedicht, drehte sich unermüdlich im Sema, weinte und flehte um Hilfe. Er verfolgte die Gerüchte, dass Schems in Syrien gesehen worden sei, und reiste zweimal nach Syrien. Nach langem Suchen gab er endlich seine Hoffnung auf. Er wusste nun, dass er seinen Geliebten nirgendwo anders finden würde als in seinem eigenen Herzen. Sie waren Spiegel füreinander. Der Liebende und der Geliebte hatten sich im Herzen für immer vereint. So wurden seine Gedichte zum Ausdruck seiner Liebe und Sehnsucht.

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Mevlana schenkt dem Goldschmied Selahaddin seine Liebe

(von Şefik Can Efendi)

Nach Schems wurde der Goldschmied Selahaddin der Herzensfreund und – spiegel von Mevlana. Um die Beziehung zu festigen, verheiratete er seinen Sohn Sultan Weled mit der Tochter von Selahaddin. Wie Sultan Weled im Ibtidaname schreibt, habe sein Vater mit Scheich Selahaddin zehn wunderschöne, geistig fruchtbare Jahre verbracht, wodurch auch die Bewohner von Konya viel lernen und gewinnen konnten. Scheich Selahaddin starb am 29. Dezember 1258.

Mevlana war durch die äussere Trennung von seinem geliebten Freund sehr betroffen und verabschiedete sich von ihm mit einem Gedicht:

„Oh du geliebter Freund,
Über dessen Fortgang Himmel und Erde weinen –
Durch deine Trennung blieb mein Herz im Blut zurück,
So haben auch meine Seele und mein Verstand geweint.“

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Hüsameddin Celebi schreibt das Mesnevi nieder

(von Şefik Can Efendi)

Nach der Trennung vom Goldschmied Selahaddin schenkte Mevlana seine Liebe seinem Schüler und Kalifen Hüsameddin Celebi. Hüsameddin war ein sehr grosszügiger Gottliebender, der alles, was er besass, Mevlana schenkte. Doch so wie er sich Mevlana verbunden fühlte und ihn von ganzem Herzen liebte, so liebte auch Mevlana ihn. An Einladungen konnte er sich unmöglich erfreuen, wenn Hüsameddin nicht zugegen war. Mevlana gab alles, was er als Geschenk erhielt, unberührt an Hüsameddin weiter, der es seinerseits an Bedürftige weiterschenkte. Mevlana schenkte Hüsameddin grosses Vertrauen puttygen download windows , denn er wusste, wie grosszügig und barmherzig dieser gegenüber den Armen war.

Eines Abends, als Hüsameddin Mevlana allein vorfand, bat er ihn um die Lektüren von Sena, Attar und anderen, damit sich die Derwische, die sich auf den mystischen Pfad begeben hatten, an diesen Geschichten orientieren könnten. Mevlana rezitierte auf diese Bitte hin sogleich die berühmten achtzehn Verse, deren erster folgender berühmter Vierzeiler ist:

„Hör auf die Flöte, was sie erzählt,
Und wie sie klagt, über Trennung und spricht…
Sie sucht ein Herz, von Einsamkeit gequält,
Um vom Schmerz der Sehnsucht zu erzählen…“

Mevlana sprach: „Wenn du schreibst, Celebi, werde ich diktieren.“ Nachdem sie sich einmal entschieden hatten, waren sie Tag und Nacht unentwegt mit dem Schreiben des Mesnevi beschäftigt. Besonders in der Stille der Nacht, wenn alle schliefen, wurde Mevlana inspiriert und Hüsameddin schrieb es nieder, was seinem geliebten Meister zugeteilt worden war. Es war so, als hätte der Allmächtige Hüsameddin Celebi eigens für das Schreiben dieses gesegneten Werkes geschaffen! Und Mevlana war bereit, dieses zu diktieren und Vers um Vers zu rezitieren. So entstand nach und nach dieses wunderschöne, unvergleichliche Werk aus sechs Bänden.

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Mevlana zieht von der vergänglichen Welt

Sefik Can schreibt in seinem Buch: „Ich hatte nicht den Mut, Ausdrücke wie ‚Tod‘ oder ‚vereinte sich mit dem Gott‘ als Titel zu nehmen, denn Mevlana hatte die Hadith ‚Sterben vor dem Sterben‘ schon erfüllt. Er hatte sich bereits in dieser vergänglichen Welt mit dem Allmächtigen vereint. Das segensreiche, gnädige Leben unseres Sultanü’l-Ashik, dem Sultan der Liebe, ging dem Ende entgegen, wie dies für jeden von uns Vergänglichen auf dieser Erde unvermeidlich ist.“

(von Şefik Can Efendi)

Das Mesnevi wurde fertig geschrieben – und Mevlana war müde. Die Kindheit mit seinem Vater Sultanü’l-ulema, dem Sultan der Gelehrten, die Jahre der Wanderschaft in materieller und seelischer Not, die Ausbildungsjahre in Sam und Haleb, getrennt von seiner Familie, dann der Verlust seiner Mutter, seines Vaters und seines sehr geliebten Scheichs Seyyid Burhaneddin hatten ihn erschöpft. Zu alledem hatte er seine Herzensfreunde Schems und Selahaddin verloren. Dazu kamen die Respektlosig-keiten eines eigenen Sohnes Alaeddin Celebi, sowie die Vorwürfe gewisser Leute, üble Gerüchte… nebst seinen viel Ausdauer verlangenden Aufgaben und Tätigkeiten: all das hatte Mevlana ermüdet. Seine letzten Tage verbrachte er sehr nachdenklich. Ja, dieser grosse Pir vergrub sich gleichsam in sich selbst – und fand am Ende so die unendliche innere Ruhe, die er sich immer ersehnt hatte, in seinem eigenen Herzen.

Die Ärzte konnten seine Krankheit nicht richtig diagnostizieren; sein gesegneter Körper schien in Sehnsucht zu verbrennen. Während er krank in seinem Bett lag, bebte sieben Tage und Nächte lang die Erde. Beim siebten Erdbeben kamen die Einwohner von Furcht und Angst ergriffen zu Mevlana und baten ihn, für sie zu beten. Mevlana sagte mit einem leisen Lächeln: „Habt keine Angst, die arme Erde ist hungrig und wünscht sich einen fetten Brocken. Man soll ihr das gewähren.“

Am Samstag, dem 16. Dezember 1273, ging es ihm etwas besser. Bis gegen den Abend hatte er sich mit Besuchern unterhalten. Jedes seiner Worte jedoch war so betont, wie wenn er seinen letzten Willen aussprechen würde. Am Sonntag, dem 17. Dezember 1273, als die Sonne unterging, ging auch Mevlana, die Seelensonne, in die heilige Welt über. Somit schloss Mevlana in Konya, wo er während vierundvierzig Jahren gewirkt hatte, seine Augen für die vergängliche Welt.

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Trauerzug

(von Şefik Can Efendi)

Am Sonntag Morgen wurde sein Sarg herausgetragen. Die ganze Stadt Konya, Jung und Alt, waren am Trauerzug anwesend. Weil Mevlana, der grosse Heilige, jedem Gutes getan und Segen gewünscht hatte, weil er stets den Frieden geliebt hatte und sich sehr weitherzig gezeigt hatte, wurde er nicht nur von Muslimen, sondern auch von Juden und Christen in Tränen verabschiedet. Auf der Hauptstrasse war ein dichtes Gedränge von der Menschenmasse – und jeder wollte den Sarg berühren. So kam der Sarg erst am Abend an dem Ort der Beisetzung an, wo das Gebet für Mevlanas Seelenheil gesprochen werden sollte.

Mevlanas letzter Wille lautete, dass Sadreddin Konevi dieses Gebet verrichten solle. Doch als dieser sich anschickte zu beten, fing er zu weinen an und fiel ohnmächtig zu Boden. Als man ihn nach dem Grund seines Schluchzens fragte, sagte er: „Als ich mich vor den Sarg hinstellte, um das Gebet zu verrichten, sah ich Engel, die sich in einer Reihe vor dem Sarg aufgestellt hatten. Ihre Majestät und Schönheit aber habe ich nicht ertragen können“.

Nach dem Gebet wurde Mevlana neben dem Grab seines Vaters Sultanu’l-ulema und Selahaddin Zerkubi begraben. Die Stadt Konya erlebte einen traurigen Abend. Mevlanas weltliches Sein hatte sich von unseren Augen zurückgezogen, doch sein geistliches Sein blieb in den Herzen der Gläubigen zurück und wird immerfort dort bleiben. Er kannte diese Tatsache und hatte deshalb die Worte gesprochen: „Sucht nach unserem Tod unsere Gräber nicht auf dieser Erde. Unsere Grabstätten befinden sich in den Herzen der Gläubigen“.

Mevlanas heiliges Grab ist neben dem seines Vaters – doch der Sultan der Gelehrten und Gläubigen und der Sultan der Liebe leben in jedem Haus, inmitten jeder Gesellschaft und in jedem Herzen weiter, die sich ihrer erinnern. So hat sich Mevlana zwar vor den Augen versteckt, in den Herzen aber niedergelassen.

Mevlanas Grab
Mevlanas Grab
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Mevlanas Herkunft

(von Şefik Can Efendi)

Die Herkunft Mevlanas kann bis zu den Gefährten des Propheten – Friede sei mit ihm – zurückverfolgt werden. Sultan Weled, der Sohn Mevlanas, erwähnt seinen Grossvater Bahaüddin Weled in seinem Ibtidaname wie folgt (S. 187-188): „Unzählige Menschen schenkten ihm ihr Herz. Seine Herkunft geht zurück bis Abu Bakr. Er war von höchstem Ansehen.“

Mevlanas Vater hiess Hüseyin Hatibi, Sohn des Mohammed. Er war unter dem Beinamen Bahaüddin Weled bekannt, und man gab ihm den Ehrentitel Sultanü’l-ulema (Sultan der Gelehrten). In der Tat war Bahaüddin Weled nicht nur der Sultan der Gelehrten, er war ein Sultan der Menschheit, ein Sultan der Moral, ein Sultan des Mutes. Er war ein musterhafter, vortrefflicher Mensch. Neben seinem grossen Wissen besass er auch vollkommene mohammedanische Sitten und gute Charaktereigenschaften. Er half jedem, dem er konnte und hütete sich vor Bosheit. Er organisierte Versammlungen, um seine Umgebung auf ihre Ungläubigkeit und Narrheit aufmerksam zu machen. Er konnte sehr gut reden. Diejenigen, die ihm zuhörten, versanken in Liebe und Glauben.

 

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Geburtsdatum und Geburtsort Mevlanas

Die Auszüge sind dem Buch „Mevlana – Sein Leben, seine Persönlichkeit, seine Ansichten“ von Sefik Can entnommen. 

Mevlana Dschelaleddin Muhammed wurde am 30. September 1207 in der Stadt Balch geboren. Die Stadt Balch befindet sich heute am nördlichen Rand Afghanistans. Sie war damals, noch vor der Eroberung durch die Mongolen, ein Zentrum für Gelehrte. Die Stadt war durch ihre Moscheen, islamischen Hochschulen und Paläste berühmt. Dank der Kaufleute, die sich an diesem Knotenpunkt der Seidenstrasse trafen, war die Hauptstadt auch wirtschaftlich entwickelt.